Am 30. September 2025 endet eine der letzten lebenden Legenden der Internetgeschichte: AOL stellt seinen Modem-Zugang nach unglaublichen 34 Jahren ein. Damit verschwindet endgültig das charakteristische Rauschen, Pfeifen und Tuten, das für Millionen Menschen weltweit der Start ins Netz war.
Wie alles begann – Internet über die Telefonleitung
In den frühen 1990er-Jahren gab es für Privatnutzer kaum Möglichkeiten, direkt ins Internet zu gelangen. Breitbandverbindungen wie DSL oder Glasfaser existierten nicht. Stattdessen nutzte man ein Modem, das über die normale Telefonleitung eine Nummer anwählte. Dabei tauschten Computer und Anbieter über eine Reihe schriller Töne die Übertragungsparameter aus – ein Klang, der für viele zur Soundkulisse ihrer digitalen Jugend wurde.
AOL, 1991 in den USA gestartet, bot nicht nur den Zugang zum Netz, sondern auch ein eigenes Portal mit Nachrichten, Chatrooms, Software-Downloads und natürlich viel Werbung. Um ins eigentliche World Wide Web zu gelangen, musste man die zusätzliche AOL-Software starten.
Die Ära der AOL-CDs
Berühmt wurde AOL nicht zuletzt durch sein aggressives Marketing. Ab Mitte der 90er verteilte das Unternehmen unzählige Gratis-CDs mit seiner Einwahlsoftware – oft inklusive 50, 100 oder sogar 500 Freistunden. Die silbernen Scheiben fanden sich überall: in Zeitungen und Magazinen, an Tankstellen, in Elektronikmärkten und natürlich im heimischen Briefkasten.
Manche nutzten die CDs tatsächlich zum Surfen, andere zweckentfremdeten sie als Untersetzer, Vogelscheuchen-Reflektoren oder Wanddekoration. Künstler bauten ganze Installationen daraus. Die Designs wechselten ständig, was sogar eine kleine Sammlerszene entstehen ließ.
Der bekannteste Werbeträger dieser Ära war Tennislegende Boris Becker. Sein Spruch „Bin ich schon drin?“ wurde zu einer der ikonischsten Werbezeilen der deutschen Internetgeschichte.
Vom Höhenflug zum Nischendasein
Mit der Verbreitung schnellerer Breitbandanschlüsse schrumpfte der Bedarf an Einwahldiensten rapide. AOL versuchte sich mehrfach neu zu erfinden, wechselte Besitzer und Geschäftsmodelle – der Modemzugang blieb jedoch überraschend lange erhalten.
2015 zahlten in den USA noch rund zwei Millionen Menschen für den langsamen Dienst, viele davon ohne ihn tatsächlich zu nutzen. Selbst 2021 waren noch 1,5 Millionen Abonnenten registriert, auch wenn nur wenige Tausend tatsächlich per Modem online gingen.
Warum jetzt Schluss ist
Laut AOL überprüft das Unternehmen regelmäßig seine Angebote. Die Entscheidung, den Dienst einzustellen, sei Teil einer strategischen Neuausrichtung. Für die wenigen verbliebenen Nutzer – vor allem in ländlichen Gebieten ohne Breitband – bleibt oft nur der Umstieg auf teurere Alternativen wie Satelliteninternet.
Mit dem Abschalten verschwindet nicht nur ein technisches Relikt, sondern auch ein Stück Internetkultur. Für viele bleibt AOL untrennbar mit den Geräuschen des Modems, den ikonischen CDs und einer Zeit verbunden, in der der Satz „Ich gehe mal kurz ins Internet“ bedeutete, dass das Telefon für die nächste Stunde blockiert war.